Trainer-Notstand in England: Warum Tuchel unvermeidbar war

von Martin Schmitz - Quelle: The Athletic | uefa.com
3 min.
Ab Januar neuer Coach der Three Lions: Thomas Tuchel @Maxppp

Mit Thomas Tuchel nimmt ab Januar erstmals ein Deutscher Platz auf der Bank der englischen Nationalmannschaft. Für das Mutterland des Fußballs ein echter Skandal. Dabei ist diese Entscheidung nur die Folge einer jahrelangen Fehlentwicklung im englischen Fußball.

Die Ernennung von Thomas Tuchel zum englischen Nationaltrainer löste im Mutterland des Fußballs ein mittelschweres Erdbeben aus. Boulevardpresse, Ex-Spieler und Politiker liefen Sturm gegen die Entscheidung, ausgerechnet einen Deutschen auf die Bank der Three Lions zu setzen. Irgendwo auf der Insel müsse sich ja wohl ein besserer Kandidat auftreiben lassen. Doch dem ist nicht so. Unter allen Optionen war der 51-Jährige „der herausragende Kandidat“, wie es der englische Fußballverband (FA) in der offiziellen Vorstellung selbst bekräftigte.

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Die FA habe „ungefähr zehn Kandidaten“ für den Job als Nachfolger des umstrittenen Gareth Southgate interviewt. Darunter hätten sich auch einige englische Trainer befunden. Keiner von diesen habe aber mit Tuchels Lebenslauf mithalten können.

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In 15 Karrierejahren hat der Deutsche elf Trophäen gewonnen, darunter mehrere Meistertitel und den Champions League-Henkelpott mit dem FC Chelsea 2021. Allein viermal erreichte der gebürtige Krumbacher mit verschiedenen Klubs das Halbfinale der Königsklasse, in der er in 67 Partien an der Seitenlinie stand – ein Wert, an den die aktuell besten englischen Coaches nicht einmal zusammen heranreichen. England hat ein Trainerproblem und schuld daran ist die Premier League.

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Top-Personal aus dem Ausland verdrängt einheimische Trainer

Diese wurde 1992 gegründet, um den Fußball im Land attraktiver zu machen, besser zu vermarkten und den eigenen Wettbewerb zum Nonplusultra im Weltfußball zu machen. Das ist auch geglückt, doch zu welchem Preis? Um zum absoluten Premiumprodukt zu reifen, hat sich die Liga sehr schnell für ausländische Spieler, Trainer und Manager geöffnet. Nur die Besten wurden gebraucht, um das Niveau über die damalige Topliga zu heben, die italienische Serie A. Die Premier League wurde zu einem Sammelbecken für Top-Personal aus dem Ausland – und englische Trainer fielen durchs Raster.

Aktuell sind nur vier englische Trainer in der Liga angestellt. Der Erfolgsdruck ist angesichts der großen Investitionen unglaublich hoch und kaum ein Klub hat die Muße, ein heimisches Trainertalent langsam aufzubauen. Stattdessen wird lieber auf einen erfahrenen Coach aus dem Ausland gesetzt. Das führt zu der völlig verrückten Statistik, dass in den 32 Jahren seit Gründung der Liga noch kein gebürtiger Engländer als Coach die Meisterschaft gewonnen hat. Im Gegenteil: Trainer aus dem Mutterland des Fußballs sind im Zweifel eher bei den Abstiegskandidaten zu finden.

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Ex-Spieler belegen Lehrgangsplätze

Laut einem UEFA-Bericht hatten in der vergangenen Saison 25 Prozent der Premier League-Klubs (fünf Vereine) einen englischen Cheftrainer. Zum Vergleich: In der Serie A waren es im selben Zeitraum 81 Prozent einheimische Trainer, in der Bundesliga immerhin 63 Prozent. Neben der fehlenden Geduld in der Trainerausbildung gibt es laut ‚The Athletic‘ noch zwei weitere Faktoren für das Trainerproblem auf der Insel. Zum einen ist es in England mehr als doppelt so teuer, die UEFA Pro-Lizenz zu erwerben und zum anderen werden die knappen Plätze in den Trainerlehrgängen fast ausnahmslos von Ex-Profis belegt.

In der vergangenen Saison ergab derselbe UEFA-Bericht, dass 83 Prozent der Trainer der Premier League über professionelle Spielerfahrung in den beiden höchsten Spielklassen Englands verfügten, mehr als in den anderen großen Ligen Europas – der Durchschnitt liegt bei 68 Prozent. Trainer, die nicht selbst auf hohem Niveau gespielt haben, bekommen kaum eine Chance. Und das führt wieder zu Tuchel.

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Modell Tuchel fehlt in England komplett

„Tuchel ist ein Beweis dafür, dass Deutschland in Bezug auf das Trainerwesen aufgeschlossener geworden ist“, argumentiert ‚The Athletic‘. Der ehemalige Bayern-Coach wurde vom FC Augsburg ohne Pro-Lizenz eingestellt und seine überschaubare Spielerkarriere gipfelte in acht Spielen in der 2. Bundesliga, ehe er seine Karriere verletzungsbedingt früh beenden musste.

Tuchel ist jedoch nur ein Beispiel. Auch Julian Nagelsmann, Edin Terzic und Fabian Hürzeler haben vergleichbare Wege beschritten und sind mittlerweile in den obersten Ebenen der Trainerriege angekommen. Wege, die den allermeisten englischen Trainertalenten verwehrt bleiben. Oder wie es ‚The Athletic‘ zusammenfasst: „Es ist für England zwar richtig, einen ausländischen Coach zu verpflichten, aber es ist falsch, keine vergleichbaren englischen Trainer zu haben.“

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