Die Reise des DFB in die Vereinigten Staaten war großer Kritik ausgesetzt. Nach dem zweiten Spiel lassen sich aber einige Erkenntnisse gewinnen, die positiv stimmen.
Ein 3:1-Erfolg gegen die USA und ein 2:2-Remis gegen Mexiko stehen am Ende einer einwöchigen Reise in die Vereinigten Staaten für die deutsche Nationalmannschaft zu Buche. Aufgrund der Reisestrapazen in einem ohnehin schon vollbepackten Terminkalender der Profis stand der Trip unter keinem guten Stern. Dennoch darf die erste Länderspielpause unter der Regie von Julian Nagelsmann als kleiner Erfolg verbucht werden. Und es lassen sich verschiedene Erkenntnisse ableiten.
1. Neue Offensivstrategie
Unter Hansi Flick haperte es offensiv. Es fehlten klare Ideen, die zum Torerfolg führten. Nagelsmann wählt hier einen anderen Ansatz. Der ehemalige Bayern-Coach setzt auf Individualisten wie Leroy Sané, Jamal Musiala oder Florian Wirtz. Alle drei sind mit hervorragenden technischen Fähigkeiten gesegnet, zudem äußerst kreativ und brandgefährlich in Eins-gegen-eins-Situationen.
Durch die drei genannten Dribbler wird das Spiel der Deutschen weniger leicht auszurechnen. Die Positionen im offensiven Mittelfeld werden rotierend besetzt, jeder der Akteure ist selbst torgefährlich, weiß aber auch den Nebenmann brillant in Szene zu setzen. Ohne sich weit aus dem Fenster zu lehnen, international gehören die drei zur Spitzenklasse. Anders als im taktischen Korsett, das Flick über weite Strecken anzulegen pflegte, setzt Nagelsmann auf die speziellen Momente, die Musiala und Co. kreieren können.
2. Alte Defensivschwächen
So erfrischend und euphorisierend der neue Offensivansatz auch gewirkt hat, so labil blieb das Abbild der Defensive. Im zentralen Mittelfeld hielten Kapitän Ilkay Gündogan und Pascal Groß zwar ordentlich dagegen, die Viererkette in der Abwehr machte aber in beiden Spielen keinen gefestigten Eindruck. Vor allem die Tempodefizite wurden abermals offenbart.
Bei einer hochstehenden Defensivreihe kamen Jonathan Tah und Mats Hummels ihren Gegenspielern gegen die USA kaum hinterher. Gegen Mexiko war es vor allem Niklas Süle, der in Sachen Antritt und Geschwindigkeit das Nachsehen hatte.
3. Schulterschluss mit den Fans
Nachdem sich DFB und Fans in den vergangenen Jahren unter Flick und auch schon unter Jogi Löw in der Zeit nach dem Weltmeistertitel 2014 immer mehr voneinander entfernten, steht nun ganz offensichtlich auf der Agenda, die Zuschauer vor dem Turnier im eigenen Land wieder hinter die Mannschaft zu bekommen. Eine wichtige Rolle dabei spielen Mats Hummels und Thomas Müller. Beide Identifikationsfiguren gehörten zum Kader beim Titelgewinn in Brasilien.
4. Zurück zum Leistungsprinzip
Schon nach Bekanntgabe der Nominierung war klar, dass Nagelsmann Zeichen setzen will. Zurück zum Leistungsprinzip soll es gehen. Mit Chris Führich, Kevin Behrens und Robert Andrich kamen drei neue Spieler in den Kader. Andere wie Nico Schlotterbeck oder Emre Can, die zuletzt keine gute Form aufwiesen, mussten zu Hause bleiben. Mit Blick in Richtung Europameisterschaft ein wichtiges Signal an alle potenziellen Nationalspieler.
5. Offene Themen mit Kimmich & Neuer
„Es gibt keinen Trainer auf der Welt, der auf die besten Spieler verzichtet“, ließ Nagelsmann vor dem Spiel gegen Mexiko verlauten. Der Coach spielte damit auf Joshua Kimmich an, der krankheitsbedingt noch vor der USA-Partie abreisen musste. Die Kombination aus Gündogan und Groß wusste in beiden Begegnungen zu gefallen. Ist jetzt also plötzlich kein Platz mehr für Kimmich im Mittelfeld?
Das wollte Nagelsmann so nicht bestätigen: „Generell gilt für alle Spieler, für Josh auch, das Leistungsprinzip.“ Zudem ließ er die Journalisten wissen: „Wenn Josh besser ist als die anderen, ist er gesetzt. Wenn Pascal besser ist, ist er gesetzt.“ Diese Aussage zahlt auch auf das Konto des Leistungsprinzips ein. Es gibt keine Ausnahmen, auch nicht für Kimmich.
Die Tür für Manuel Neuer zurück in die DFB-Elf bleibt weiter offen. Marc-André ter Stegen machte seine Sache gut, dennoch bahnt sich ein heißer Zweikampf an. Platzhirsch Neuer will sich höchstwahrscheinlich nicht mit einem Bankplatz begnügen. Die Kapitänsbinde hat Neuer aber endgültig an Gündogan verloren, das hat Nagelsmann bereits bestätigt. Bleibt abzuwarten, ob ter Stegen seinen Platz zwischen den Pfosten gegen Herausforderer Neuer behaupten kann.