Vier Pleiten zu Jahresbeginn, Tabellenplatz zehn in der Bundesliga, raus aus dem DFB-Pokal und den direkten Achtelfinal-Einzug in der Champions League wohl verspielt: Borussia Dortmund kriselt durch die Saison. FT versucht, das aktuelle Chaos bei Deutschlands ehemaliger Nummer zwei ein wenig zu ordnen.
Machtkampf
Meist stinkt der Fisch vom Kopf – und der ist in diesem Fall die aufgeblähte Sportliche Führung. Fünf Personen reden entscheidend mit: Hans-Joachim Watzke, Vorsitzender der Geschäftsführung, Geschäftsführer Sport Lars Ricken als direkter Vorgesetzter von Sportdirektor Sebastian Kehl, der externe Berater Matthias Sammer (absurderweise gleichzeitig draufhauender TV-Experte) und der Technische Direktor Sven Mislintat.
Letzterer überschreitet schonmal seine Kompetenzen, hat längst Trainingsgeländeverbot und will laut der ‚Sport Bild‘ jetzt auch noch am liebsten Kehls Job ergattern. Dieser wiederum erhielt nach langem Zaudern der Vereinsseite zuletzt erst eine Vertragsverlängerung bis 2027, obwohl er den aktuellen sündhaft teuren Kader zusammenstellte, der höchsten Ansprüchen ganz offensichtlich nicht genügt. Kehl war Vertrauter des entlassenen Trainers Nuri Sahin – und steht jetzt ohne ganz engen Verbündeten im Klub da.
Trainerfrage
Sahin ist also seit der 1:2-Niederlage in Bologna weg. Interimsweise übernimmt A-Jugend-Trainer Mike Tullberg für das Spiel gegen Werder Bremen am Samstag (15:30 Uhr). Chancen auf eine Weiterbeschäftigung werden dem 39-jährigen Dänen kaum zugerechnet. Zu schlecht waren die Dortmunder Erfahrungen mit den Profitrainer-Anfängern Edin Terzic und Sahin in den vergangenen Jahren. Doch wer macht es stattdessen?
Eine heiße Spur führte am gestrigen Mittwoch zu Ex-Bayern-Coach Niko Kovac. Ein geradliniger Fitnessfanatiker, der aktuell keine Zeit hätte, den BVB-Kader fit zu machen und nicht gerade für strukturierten Ballbesitz-Fußball bekannt ist, den sich Dortmund im Sommer auf die Fahnen schrieb. ‚Sky‘ zufolge liefen dennoch bereits aussichtsreiche Gespräche. Bei Kovac selbst klang das dann am Mittwochabend bei ‚Canal+‘ anders: „Niemand hat mit mir gesprochen, ich habe mit niemandem gesprochen.“ Dennoch sei er „ein Typ, der Herausforderungen braucht und sucht“. Und eine Herausforderung wäre der aktuelle BVB allemal.
Weitere Trainerkandidaten hören auf die Namen Urs Fischer und Roger Schmidt, der bereits öffentlich absagte. Die Wunschlösung für den Sommer wäre wohl Sebastian Hoeneß, der mit seinem VfB Stuttgart den BVB in Spielweise und Tabelle in Windeseile überholt hat. Alle genannten Kandidaten stehen für geradezu gegensätzliche Ideen von Fußball. So ganz scheint Dortmund also gerade nicht zu wissen, wohin die Reise gehen soll.
Führungsspieler
Mit Marco Reus (35) und Mats Hummels (36) verließen zwei Urgesteine und Führungsspieler im Sommer den Verein. Emre Can (31) und Julian Brandt (28) sollten endgültig die Führung im Team übernehmen, wurden aber vielmehr zu Gesichtern der Krise. In Bologna ließ Sahin dann beide fallen und setzte sie auf die Bank. Als Can ins Spiel kamen, kippte die Begegnung zu Ungunsten des BVB. Auch Brandt brachte als Joker keinen frischen Wind mehr. Marcel Sabitzer (30), Kapitän der österreichischen Auswahl bei der EM, schmollte zuletzt mehr als voranzugehen. Keeper Gregor Kobel (27), eigentlich der große Rückhalt der vergangenen Jahre, hatte ganz viel mit sich selbst und seinen fußballerischen Defiziten zu tun, die durch Sahins Spielansatz in beinahe jedem Spiel zutage traten.
Verkäufe
Immerhin: Auf der Abgangsseite des Wintertransfermarkts schien es für den BVB zu laufen. Kehl gelang der Verkauf von Donyell Malen (26) für marktgerechte 25 bis 30 Millionen Euro an Aston Villa. Und nun stellt die SSC Neapel auch noch bis zu 52,5 Millionen Euro für Karim Adeyemi (23) in Aussicht. Ein super Preis für den Angreifer, der sich in Dortmund nie konstant behaupten konnte. Und die große Gelegenheit, das drohende Verpassen der Champions League frühzeitig wirtschaftlich aufzufangen. Doch Pustekuchen: Adeyemi selbst will laut ‚Sky‘ in diesem Winter gar nicht wechseln. Ärgerlich, ist es doch äußerst fraglich, ob im Sommer nochmal ein Klub eine solche Summe bietet.
Einkäufe
Die halbe Premier League wurde gefühlt in diesem Winter schon beim BVB gehandelt. Laut ‚Sky‘ liegen ob des Sahin-Aus‘ aber jetzt alle Transfers auf Eis. Verteidiger Renato Veiga (21/FC Chelsea) wechselt daher lieber zu Juventus Turin. Angreifer Marcus Rashford (27) trainiert wieder bei Manchester United mit und will ohnehin am liebsten nach Barcelona. Achter Carney Chukwuemeka (21/Chelsea) war ein Sahin-Wunschspieler, seine Verpflichtung ist somit wohl raus.
Klar ist: Der Kader braucht noch frisches Personal. In der Hinrunde lief Dortmund bereits personell auf dem Zahnfleisch – und dennoch gibt es bislang keinen Winterneuzugang. Insbesondere in der Abwehr drückt der Schuh, doch auch im Mittelfeld täte ein echter Führungsspieler Not. Genauso wie ein neuer Trainer, eine geeinte Führungsetage oder erstmal auch nur der erste Sieg des Jahres.
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