Barça & de Jong: Liebe auf den zweiten Blick?
Beim FC Barcelona wurde Frenkie de Jong vor seinem Wechsel herbeigesehnt. Die hochgesteckten Erwartungen konnte der Niederländer jedoch bisher nicht erfüllen. Eine Zwischenbilanz.
Als der FC Barcelona Frenkie de Jong vor einem Jahr für 72 Millionen Euro verpflichtete, war die Freude in Katalonien groß. Der Niederländer hatte eine überragende Saison gespielt und war der Strippenzieher einer tollen Spielzeit von Ajax Amsterdam, die erst im Halbfinale der Champions League endete.
Die Fußballwelt war sich einig: De Jong und Barça, das passt. Der Mittelfeldspieler verkörperte die katalanische DNA wie kein anderer und bestach mit Übersicht, präzisem Kurzpassspiel und einer sehr hohen Spielintelligenz.
In Barcelona sehnte man sich nach den glorreichen alten Zeiten und vor allem nach einem Nachfolger für Xavi Hernández und Andrés Iniesta, die die Fußballwelt unter Pep Guardiola verzaubert hatten. De Jong, da waren sich alle einig, ist ein Spieler, der die Fans zum Träumen bringt.
Doch das erste Jahr lief anders als erwartet. Die Blaugrana spielten eine bisher enttäuschende Saison und verloren die Meisterschaft an Real Madrid. Im Winter wurde Ernesto Valverde entlassen, obgleich er zwei Liga-Titel in Serie mit den Katalanen gewonnen hatte.
Passt das System zu de Jong?
Der Spielstil hat sich in Barcelona im Vergleich zum früheren Tiki Taka verändert. Unter Valverde spielte das Team langsamer und weniger direkt ins letzte Drittel, als es de Jong bei Ajax gewohnt war. Mit den alternden Superstars um Lionel Messi (33) und Luis Suarez (33) war ein vertikales Direktspiel aus Sicht des Trainers nicht mehr möglich.
Valverde favorisierte ein kompaktes Spielsystem, behutsamen Spielaufbau und vertraute im letzten Drittel auf Messis Brillanz. Auch unter Nachfolger Quique Setien, der mit Ballbesitz-orientiertem Fußball bei Betis Sevilla bekannt wurde, verbesserte sich die Formkurve der Katalanen nicht nachhaltig.
Fehlendes Risiko wurde Valverde zu Lasten gelegt, da die Spielweise von vielen als unattraktiv und behäbig empfunden wurde. Auch de Jong hatte unerwartete Schwierigkeiten, sich in das Konzept einzufügen. Zudem agierte der Niederländer bei Ajax aus der tiefen Sechserposition heraus, während er bei Barça nun eine Position weiter vorne spielt.
Das Problem: Platzhirsch Sergio Busquets ist nach wie vor im defensiven Mittelfeld gesetzt. Als offensiverer Part fehlte es dem Spielgestalter oft an direkter Torgefahr, er besetzte die Räume im vorderen Angriffsdrittel zu selten.
Barça oder de Jong: Wer ist das Problem?
Trotz der Anpassungsschwierigkeiten war der 23-Jährige im Mittelfeld gesetzt und absolvierte 41 Pflichtspiele in dieser Saison. Im Gegensatz zu den prominenten und teuren Neuzugängen der vergangenen Jahre (Phillipe Coutinho, Ousmane Dembélé, Antoine Griezmann) lief es also nicht allzu schlecht für den Rechtsfuß. Sein Mittelfeld-Pendant Arthur jagte man bereits vom Hof – dass de Jong Ähnliches ereilt, ist kaum zu erwarten.
Tatsächlich ist die Transferpolitik der Katalanen in den vergangenen Jahren in vielen Punkten gescheitert. Im Verein herrscht zudem ständige Unruhe, die Altstars im Klub wirken borniert, Talente werden verschleudert und im Vorstand tobt ein interner Machtkampf zwischen Präsident Josep Maria Bartomeu und anderen Verantwortlichen.
Passend dazu wirkt de Jong auf dem Platz noch wie ein Fremdkörper. Der ansonsten risikofreudige Mittelfeldspieler, der gerne ins Tempodribbling bei gegnerischen Pressingmomenten ging oder mehrere Verteidigungslinien mit einem Pass überspielte, schafft es noch nicht, seine Stärken optimal einzubringen. Ein Beispiel: Im Hinspiel des Champions League-Viertelfinals hatte de Jong mit lediglich 51 Ballkontakten in 90 Minuten die wenigsten im Barça-Mittelfeld. Zum Vergleich: Sergio Busquets berührte 134 Mal die Kugel, Arturo Vidal 74 Mal.
Wie geht es weiter?
De Jong selbst sagte gegenüber der niederländischen Rundfunkanstalt ‚NOS‘ im Februar: „Mit Holland und in der zurückliegenden Saison bei Ajax haben wir mit zwei kontrollierenden Mittelfeldspielern und einer Nummer 10 weiter vorne gespielt. In Barcelona spielen wir oft mit einem kontrollierenden Mittelfeldspieler. Meine alte Position bei Barça gibt es also nicht wirklich. Aber ich muss mich anpassen.“
Am Ende der vergangenen Saison verletzte sich de Jong an der Wade und fiel einige Zeit aus. Im Rückspiel gegen die SSC Neapel stand der Niederländer jedoch wieder auf dem Platz, spielte einen genialen Pass auf Lionel Messi und zeigte sich im Gegensatz zum Hinspiel deutlich verbessert. Nun geht es für de Jong und Barça im Viertelfinale gegen den FC Bayern, das wohl formstärkste Team der Königsklasse.
Gescheitert ist der Mittelfeldspieler bis hierhin nicht – dieser Schluss käme zu früh. Es bleibt jedoch abzuwarten, ob de Jong sein immenses Potenzial in Barcelona entfalten und in die großen Fußstapfen von Xavi und Iniesta treten kann. So wie es sich die Fans immer noch erhoffen.
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