Die Erwartungen im Mutterland des Fußballs sind wie immer riesig. In der Fachwelt werden den Three Lions hingegen nur noch maximal Außenseiter-Chancen eingeräumt. Zu alt und ohne klare Spielidee scheinen die Engländer den Anschluss an die Weltspitze seit einigen Jahren verloren zu haben. Für eine Überraschung ist das Starensemble um Kapitän Gerrard und Superstar Rooney dennoch allemal gut.
„Das sind doch alles die gleichen Spieler. Das System ist doch unwichtig. Es lohnt sich überhaupt nicht, darüber zu schreiben“, brachte 2004 ein englischer Journalist nach dem 3:0-Sieg der ‚Three Lions‘ bei der Europameisterschaft in Portugal über die Schweiz zu Papier. Diese ignorante Einstellung ist sinnbildlich für das Problem, das der englische Fußball lange Zeit hatte und zum Teil noch immer hat. Der englische Fan, aber auch die Verantwortlichen und sogar die Spieler sträubten sich über Jahre gegen den progressiven Fußball.
Während sich in Spanien das berühmte Tiki-Taka des FC Barcelona etablierte und auch das Spiel der ‚Furia Roja‘ signifikant prägte oder sich insbesondere in der Bundesliga das auf Pressing basierende, schnelle Umschaltspiel entwickelte, sah es die Premier League und mit ihr das Mutterland des Fußballs nicht ein, mit der Zeit zu gehen. Schließlich hat man doch die womöglich beste Liga der Welt, mit den besten Spielern rund um den Globus. So setzte die englische Eliteliga weiterhin primär auf große Namen, körperliche Härte und individuelle Klasse.
Alle Spieler der ‚Three Lions‘ kicken in der Premier League. Das Team von Roy Hodgson verfügt – mit Ausnahme des dritten Torhüters Fraser Forster von Celtic Glasgow – über keinen einzigen Legionär. Entsprechend kennen die Spieler im Kader in aller erster Linie nur den system-aversiven englischen Fußball.
Luke Shaw als Sinnbild für die Verjüngungskur
Langsam aber sicher findet aber auch auf der Insel ein Umdenken statt. Wohl auch begünstigt durch die letztjährige Champions League, als mit dem FC Arsenal und Manchester United lediglich zwei englische Teams die Vorrunde der Königsklasse überstanden und im Viertelfinale schließlich kein Team aus der Premier League mehr mit von der Partie war. Eine Ohrfeige so laut wie Anfield für das stolze, fußballbegeisterte England.
Dennoch läuft es in der Nationalmannschaft verhältnismäßig rund. Trotz einiger Querelen qualifizierte sich England letztlich souverän für die WM-Endrunde in Brasilien. Ohne Niederlage setzten sich die ‚Three Lions‘ in Qualifikations-Gruppe H vor der Urkaine, Montenegro und Polen durch. Dabei spielte man allerdings viermal Unentschieden, wobei man ein Torverhältnis von 31:4 herausschoss. Für eine Nation, die sonst vor allem mit eisenhartem Defensivspiel assoziiert wird, gar nicht schlecht.
Coach Hodgson hat bei der Auswahl seines Kaders zudem die lang ersehnte Verjüngungskur eingeleitet. Symbolisch dafür, dass der 18-jährige Youngster Luke Shaw (FC Southampton) anstelle des Altmeisters Ashley Cole (FC Chelsea) als Linksverteidiger im vorläufigen Kader der Briten steht. Dennoch – der Pool an vielversprechenden Talenten scheint auf der Insel limitiert. Hoffnungsträger wie Jack Wilshere und Alex Oxlaide-Chamberlain von Arsenal konnten noch immer nicht die großen Erwartungen erfüllen, die England in die beiden setzt. Auch dahinter ist die Perspektive eher mau. Umso erfreuter wird man in England zur Kenntnis nehmen, dass die U17 am gestrigen Mittwoch die Europameisterschaft gewonnen hat. Im Finale setzte sich das Junioren-Team gegen die Niederlande durch, und das auch noch im Elfmeterschießen – die Fußballwelt steht Kopf.
Auf Gerrard und Rooney lasten die Hoffnungen der ganzen Nation
Trotz des schleichend eingeleiteten Umbruchs bleibt Hodgson wenig anderes übrig als auf die alten Superstars wie Steven Gerrard und Frank Lampard zurückzugreifen. In die Karten spielt dem Übungsleiter sicherlich, dass der FC Liverpool eine herausragende Saison spielte. Im Kader der ‚Reds‘ stehen zahlreiche Akteure, die für Hodgson infrage kommen. Jordan Henderson ist mit Kapitän Steven Gerrard bestens eingespielt und auch Shootingstar Raheem Sterling könnte in Brasilien in der Startelf stehen. So ist es denkbar, dass mit Glen Johnson, Gerrard, Henderson, Sterling und Daniel Sturrdige eine Fünfer-Achse des FC Liverpool das Grundgerüst der Engländer bildet.
Im Angriff überraschte in dieser Saison ebenfalls ein Akteur von der Anfield Road. Daniel Sturridge spielte ein wenig im Schatten von Superstar Luis Suárez eine überragende Saison und erzielte 22 Treffer in 29 Partien. Wichtigster Mann im Team ist aber weiterhin Wayne Rooney. Mit dem ‚Enfant terrible‘ steht und fällt das Spiel der Engländer – ähnlich wie bei Manchester United. In Brasilien wird es einmal mehr von ihm abhängen, ob England etwas erreichen kann oder ob schon das Aus in der Vorrunde blüht.
Aussicht
In Brasilien erwischten die ‚Three Lions‘ eine echte Todesgruppe. Costa Rica ist für die drei Schwergewichte Uruguay, Italien und England wohl Kanonenfutter. Insbesondere hatte das Mutterland des Fußballs Pech, dass es Italien zugelost bekam, das als einzige europäische Nation in Lostopf vier gerutscht war. Gegen die Italiener wird es England mindestens genauso schwer haben wie gegen Uruguay, das mit seiner brandgefährlichen Sturmreihe für Furore sorgen will. Zudem sind die Südamerikaner mit den erschwerten klimatischen Bedingungen vertraut, was ein erheblicher Vorteil für die ‚Urus‘ sein dürfte.
Auch die Italiener gehen leicht favorisiert in Gruppenspiel eins gegen die Briten. Der Verlierer aus dieser Partie dürfte es äußerst schwer haben, die Gruppenphase zu überstehen. Chancen auf den Titel rechnen den Engländern in diesem Jahr wohl die allerwenigsten aus. Prognose: England streicht nach drei Spielen die Segel.
Die Stars
Steven Gerrard (33/FC Liverpool): Die Liverpool-Ikone ist Kapitän und emotionaler Leader der ‚Three Lions‘. Sein Treffer zum 2:0 gegen Polen sicherte am 15. Oktober 2013 die Qualifikation für Brasilien. Das Tor Gerrards war eine veritable Demonstration an Leidenschaft und Willensstärke des 33-Jährigen. Auch beim FC Liverpool spielte die Klub-Ikone eine herausragende Saison. 13 Tore erzielte der gebürtige Liverpooler für die ‚Reds‘. Vor allem auf ihn und Rooney baut bei der WM eine ganze Nation.
Wayne Rooney (28/Manchester United): Der Weltstar von Manchester United war mit sieben Treffern in der WM-Qualifikation bester Torschütze der Engländer. Von seinen Geniestreichen ist das oftmals ideenlose Spiel essenziell abhängig. Ist der 28-jährige Offensiv-Spieler in Brasilien nicht in absoluter Höchstform, droht der Elf von Roy Hodgson ein jähes Ende.
Daniel Sturridge (24/FC Liverpool): Mit 22 Toren und 29 Partien spielte der schnelle Angreifer die Saison seines Lebens. Entsprechend selbstbewusst fährt der 24-Jährige an den Zuckerhut. Aufgrund der starken Spielzeit dürfte Sturridge neben Rooney gesetzt sein. Zeigt er sich auch im Nationalteam so treffsicher wie bei Liverpool, könnte England die Fußballwelt überraschen.
Die mögliche Aufstellung
Das vorläufige Aufgebot
Torhüter: Joe Hart (Manchester City), Ben Foster (West Bromwich Albion), Fraser Forster (Celtic Glasgow)
Abwehr: Leighton Baines, Phil Jagielka (FC Everton), Gary Cahill (FC Chelsea), Glen Johnson (FC Liverpool), Phil Jones, Chris Smalling (Manchester United), Luke Shaw (FC Southampton)
Mittelfeld: Ross Barkley (FC Everton), Steven Gerrard, Raheem Sterling, Jordan Henderson (FC Liverpool), Adam Lallana (FC Southampton), Frank Lampard (FC Chelsea), James Milner (Manchester City), Alex Oxlade-Chamberlain, Jack Wilshere (FC Arsenal)
Angriff: Rickie Lambert (FC Southampton), Wayne Rooney, Daniel Welbeck (Manchester United), Daniel Sturridge (FC Liverpool).
*Gruppe A:
Gruppe B:
Gruppe C:
Gruppe D:
Gruppe E:
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