Bundesliga

BVB-Kader: Tuchel und seine Härtefälle

Von Härtefällen will Thomas Tuchel ganz grundsätzlich nichts wissen. Kaum ein Bundesligatrainer rotiert so unermüdlich wie der Übungsleiter von Borussia Dortmund, wodurch viele Akteure zu regelmäßigen Einsatzzeiten kommen. Bei einigen Spielern ist aber selbst dieser Platz in der laufenden Saison in Gefahr.

von Remo Schatz
4 min.
Thomas Tuchel hat einige namhafte Härtefälle @Maxppp

Bei einem über 200.000-fach geklickten Youtube-Video gibt Thomas Tuchel sehr perönliche Einblicke in seine erste Zeit als Profitrainer beim FSV Mainz 05. Eine Anekdote aus seiner zweiten Bundesligasaison steht sinnbildlich für die Tuchel‘sche Trainerphilosophie, der er sich bis heute treu geblieben ist.

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Wir saßen im Bus beim Auswärtsspiel in Bremen – in der Saison, in der wir mit sieben Siegen den Bundesligastartrekord gebrochen haben – da kommt mein Manager zu mir und sagt: ‚Ey, sechs Änderungen, meinst du nicht, das ist ein bisschen viel? Ich glaube, in Mainz sitzen sie in den Lokalen und haben gar keine Ahnung mehr, wie wir spielen.‘ Er hat das nett gemeint und überhaupt nicht kritisch, aber ich habe zu meinem Co-Trainer gesagt: ‚Ist das zu viel? Aber das ist doch ein gute Aufstellung?‘ Also wir haben das selbst niemals als Mittel zum Zweck gemacht.“

Rotation wird gemeinhin als Prinzip gesehen, damit sich Spieler regelmäßig ausruhen können und auch die Profis aus der zweiten Reihe ihre Einsatzzeiten bekommen. Nicht so bei Tuchel. Der ‚Rulebreaker‘ betreibt strenggenommen überhaupt keine Rotation. Vielmehr stellt er immer die Mannschaft auf, von der er glaubt, dass sie ideal auf den jeweiligen Gegner abgestimmt ist. Und Härtefälle sind da vorprogrammiert.

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Sahin, der Parade-Härtefall

Der aktuelle BVB-Kader zählt 29 Spieler. Auch wenn man die Langzeitverletzten Erik Durm und Neven Subotic sowie Denisz Burnic, der, anders als seine A-Jugend-Kollegen Felix Passlack und Christian Pulisic noch nicht für die Profimannschaft vorgesehen ist, abzieht, steht Tuchel ein Überangebot zur Verfügung.

Leidtragender Nummer eins dabei ist Nuri Sahin. Im vergangenen Jahr ein ums andere Mal von Verletzungen zurückgeworfen, lief das Eigengewächs aus Lüdenscheid lediglich in neun Bundesligaspielen auf. Für Tuchel ist der türkische Nationalspieler ausdrücklich „kein Härtefall“. Der 27-Jährige trainiere auf „einem extrem hohen Niveau“. Die Fakten sprechen jedoch eine andere Sprache. Obwohl Sahin wieder komplett fit ist, schaffte er bislang noch kein einziges Mal den Sprung in den Spieltagskader.

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Im zentralen Mittelfeld liegt das Trio Gonzalo Castro, Sebastian Rode und Julian Weigl augenscheinlich meilenweit vor der teaminternen Konkurrenz. Zudem sollen Neuzugang Mikel Merino und eben Burnic zukünftig den Druck erhöhen. Für Sahin ist da kaum noch Platz.

Zu viele Außenverteidiger

Ein Schicksal, das in dieser Saison vielen Profis blühen wird. Sven Bender ist im Ranking der dritte Innenverteidiger und wird somit wohl regelmäßig in die Rotation eingebunden. Wie es mit Olympiafahrer Matthias Ginter aussieht, ist allerdings fraglich. Vor der Abwehr ist die Konkurrenz immens. Bleibt die Rechtsverteidigerposition, auf der er im vergangenen Jahr geglänzt hat. Felix Passlack aber macht seine Sache dort ausgezeichnet und der Youngster könnte zu der Entdeckung der Saison werden.

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Dahinter lauert zudem noch Routinier Lukasz Piszczek auf seine Chance. Man muss kein Prophet sein, um zu erkennen, dass entweder der Pole oder Ginter auf der Strecke bleiben werden. Auf der gegenüberliegenden Seite ist die Situation eindeutiger. Neu-Kapitän Marcel Schmelzer hat die Nase vorn. Auf Sicht wird die Konkurrenz durch Raphaël Guerreiro aber fraglos zunehmen. Ein echter Härtefall ist jedoch der einstige Tuchel-Wunschspieler Joo-Ho Park, der keinerlei Rolle spielen wird.

Wohin mit Götze?

Pulisic legte ähnlich wie Weigl einen kometenhaften Einstand hin. Dass der 18-Jährige in dieser Saison eher weniger Einsatzzeiten bekommt, wird er verkraften können. Der US-Amerikaner braucht Geduld, wird aber seine Chancen bekommen. Mario Götze hat nach Jahren der bajuwarischen Tristesse deutlich weniger Bankplatz-Toleranz. Auf seiner Paradeposition im offensiven Mittelfeld präsentiert sich derzeit Shinji Kagawa in Galaform.

Noch kommen Tuchel bei der Begründung, warum Götze nicht spielt, dessen kleinere Verletzungen entgegen. Spätestens nach der Länderspielwoche, in der er zumindest gestern gegen Finnland (2:0) durchspielte und beide Tore auflegte, fehlen dem Trainer die Argumente. Wenn der Zehner aufblüht und an alte BVB-Tage anknüpfen kann, findet sich immer eine Platz für den Finalhelden von Rio. Bei seiner persönlichen Renaissance ist aber Eile geboten. Wenn Marco Reus wieder fit ist, wird es noch enger. Da auf links der derzeit glänzende André Schürrle nicht nur aufgrund seines bekanntermaßen ausgezeichneten Verhältnisses zu Mentor Tuchel gesetzt ist, könnte sich Reus auf der Zehn wiederfinden. Eine Position, auf der sich der Dortmunder Jung alles andere als unwohl fühlt.

FT-Meinung: Sahin, Ginter oder Piszczek, Park sowie Götze. Obwohl der BVB offiziell keine Härtefälle hat, ist die Liste der Spieler auf der Kippe doch beachtlich und vor allem namhaft. Viele Dortmunder Profis müssen sich in dieser Saison keine Sorgen machen, ob sie in der Startaufstellung stehen, sondern vielmehr, ob sie überhaupt den Sprung in den 23-Mann-Kader schaffen. Für Tuchel wird es die Gretchenfrage, ob er gleichzeitig die Leistung sowie auch die Stimmung konstant hochalten kann.

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