In rund drei Wochen beginnt die Europameisterschaft 2024 in Deutschland. FT checkt im Vorfeld die Topfavoriten. Heute: England.
Aktuelle Form
Nach dem unglücklichen Viertelfinal-Aus bei der WM 2022 gegen Frankreich (1:2) legten die Three Lions eine blitzsaubere EM-Qualifikation hin. Die Bilanz: Sechs Siege, zwei Remis und Platz eins. Unter anderem schlug man zweimal Italien. Die ersten Länderspiele des Jahres 2024 gingen dafür in die Hose: In Wembley verlor man 0:1 gegen Brasilien und trennte sich 2:2 von Belgien. In Superform sind dafür einige Individualisten, die zahlreiche Tore in ihren Ligen schossen.
Stärken & Schwächen
Harry Kane, Phil Foden, Jude Bellingham, Bukayo Saka, Cole Palmer, James Maddison, Jack Grealish: England hat riesiges Potenzial im Angriff und ist somit stets in der Lage, jedem Gegner wehzutun. Und dennoch kann man nicht behaupten, dass die Three Lions attraktiven Fußball spielen. Trainer Gareth Southgate setzt eher auf Pragmatismus. Das Team ist jedoch immer mit dem Herzen bei der Sache, körperlich voll auf der Höhe und hat eine gute Mischung aus Turniererfahrung und jugendlicher Unbekümmertheit.
Defensiv liegt allerdings einiges im Argen: Zunächst ist da das traditionelle Torwartproblem. Jordan Pickford ist gesetzt – und sicher hatte England in der Vergangenheit auch schon schlechtere Keeper. Doch Weltklasse verkörpert der Mann vom FC Everton beileibe nicht. Insbesondere fußballerisch ist Pickford limitiert. Das gilt auch für Abwehrchef Harry Maguire, der auf der Insel nicht selten als Meme-Vorlage dient. Seinen längst verloren geglaubten Stammplatz bei Manchester United holte sich der einst teuerste Verteidiger der Welt in dieser Saison zurück. Bei den jüngsten Turnieren war Maguire oft Englands Fels in der Brandung. Welches Gesicht zeigt er also bei dieser EM?
Der Trainer: Gareth Southgate
Die Ergebnisse sprechen für den Trainer. Das WM-Halbfinale 2018 und EM-Finale 2021 zählen historisch zu Englands größten Erfolgen. Der klare Kritikpunkt aber bleibt: Der Pragmatiker Southgate schafft es nicht, seinem Team ein fluides Offensivspiel einzuimpfen. Außerdem wird ihm Nibelungentreue zu seinen Lieblingen wie Maguire vorgeworfen. Bei der EM-Nominierung steuerte er aber gegen und verzichtete etwa auf seine langjährigen Weggefährten Jordan Henderson, Raheem Sterling und Marcus Rashford. Klar ist: Aufgrund des riesigen Talents im Team wird endlich der erste Titel seit der WM 1966 erwartet. Southgate weiß, dass die EM in Deutschland sein letztes Turnier sein könnte. Der Vertrag läuft zum Jahresende nach dann acht Jahren im Amt aus. Über mögliche Nachfolger wie Mauricio Pochettino wird schon eifrig spekuliert.
Der Star: Jude Bellingham
Der Ex-Dortmunder übertraf die ohnehin schon hohen Erwartungen in seiner ersten Saison bei Real Madrid sogar. In neuer, offensiverer Rolle sammelte Bellingham bis dato 35 Scorerpunkte, trug maßgeblich zum Meistertitel bei und hat jetzt noch die Chance, im Champions League-Finale im Londoner Wembley Stadium gegen seinen Ex-Klub (1. Juni) die Champions League zu gewinnen. Diesen Schwung soll er dann mit zur EM nehmen und England auch dort anführen. Dass er nach wie vor nur 20 Jahre alt ist, gerät immer mehr in Vergessenheit.
Der Kapitän: Harry Kane
Auch Englands zweiter Superstar wechselte im Sommer den Klub, schloss sich dem FC Bayern an und legte eine Fabelsaison mit 56 Scorerpunkten in 45 Spielen hin. Dass die Bayern ausgerechnet in Kanes erster Saison erstmals seit 2012 titellos blieben, lag als letztes an ihm. Und doch passt es ins Bild des chronischen Verlierers Kane, der noch nie einen Titel gewinnen konnte. Mit 30 Jahren führt er England bereits zum vierten Mal als Kapitän in ein großes Turnier, ist Rekordtorschütze dieser stolzen Fußballnation. Das Bild, auf dem Kane eine Trophäe in die Luft streckt, wird für viele Fans der Three Lions aber immer schwieriger vorstellbar.
Player to watch: Kobbie Mainoo
Der mit 19 Jahren jüngste Spieler in Englands EM-Kader hat tatsächlich auch Startelfchancen. Nicht zuletzt, da er mit seiner umtriebigen Spielweise gut an die Seite von Organisator Declan Rice im zentralen Mittelfeld passt. Mainoo eroberte sich in der laufenden Saison einen Stammplatz bei Manchester United, sammelte 31 Pflichtspieleinsätze und erzielte seine ersten vier Profitreffer. Im März bestritt der 1,75-Mann seine ersten A-Länderspiele, stand gegen Belgien sogar in der Startelf und erhielt später blendende Kritiken.
Die Topelf
Die FT-Prognose
Englands Offensive ist zumindest in der Breite die beste im Turnier. Gelingt es Southgate, das Team nicht zu bremsen, seinen eher defensiven Ansatz ein wenig aufzuweichen, dabei die Balance nicht zu verlieren, aber den Angreifern mehr Freiheiten zu ermöglichen, wird England um den Titel mitspielen. Die Vorrundengruppe mit Slowenien, Dänemark und Serbien ist machbar. Gut möglich also, dass sich die Three Lions schon früh in den nötigen Flow spielen.
Englands vorläufiger EM-Kader
Tor
- Dean Henderson (27/Crystal Palace)
- Jordan Pickford (30/FC Everton)
- Aaron Ramsdale (26/FC Arsenal)
- James Trafford (21/FC Burnley)
Abwehr
- Jarrad Branthwaite (21/FC Everton)
- Lewis Dunk (32/Brighton & Hove Albion)
- Joe Gomez (26/FC Liverpool)
- Marc Guéhi (23/Crystal Palace)
- Ezri Konsa (26/Aston Villa)
- Harry Maguire (31/Manchester United)
- Jarell Quansah (21/FC Liverpool)
- Luke Shaw (28/Manchester United)
- John Stones (29/Manchester City)
- Kieran Trippier (33/Newcastle United)
- Kyle Walker (33/Manchester City)
Mittelfeld
- Trent Alexander-Arnold (25/FC Liverpool)
- Jude Bellingham (20/Real Madrid)
- Conor Gallagher (20/FC Chelsea)
- Curtis Jones (23/FC Liverpool)
- Kobbie Mainoo (19/Manchester United)
- Declan Rice (25/FC Arsenal)
- Adam Wharton (20/Crystal Palace)
Angriff
- Jarrod Bowen (27/West Ham United)
- Eberechi Eze (25/Crystal Palace)
- Phil Foden (23/Manchester City)
- Anthony Gordon (23/Newcastle United)
- Jack Grealish (28/Manchester City)
- Harry Kane (30/Bayern München)
- James Maddison (27/Tottenham Hotspur)
- Cole Palmer (22/FC Chelsea)
- Bukayo Saka (26/FC Arsenal)
- Ivan Toney (28/FC Brentford)
- Ollie Watkins (28/Aston Villa)
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