Vier Bundesligaprofis hat Louis van Gaal in seinen vorläufigen WM-Kader berufen. Neben Weltstars wie Robin van Persie, Arjen Robben oder Wesley Sneijder setzt der ehemalige Bayern-Coach vor allem auf erfolgshungrige Youngsters aus der heimischen Eredivisie. Oberste Priorität für die Wahl seiner Offensivkräfte hat für van Gaal der Faktor Geschwindigkeit.
Seit Jahr und Tag assoziiert man die niederländische Nationalmannschaft mit attraktivem Offensiv-Spektakel. ‚Voetbal Total‘ und das von Rekordmeister Ajax Amsterdam perfektionierte 4-3-3 waren die prägenden Begriffe der zurückliegenden Jahrzehnte. Grobe Züge dieser taktischen Ausrichtung erkennt man auch heute noch unter ‚Bondscoach‘ Louis van Gaal. Doch der Taktikfuchs setzt vor allem auf große Kompaktheit im Mittelfeld. Als besonders fesselnd kann man das Auftreten der ‚Elftal‘ gegen spielstarke Teams aus Sicht des Fußball-Spektakel-Liebhabers nicht bezeichnen. Vielmehr hofft van Gaal, den Großteil der Offensiv-Initiative an den Gegner abgeben zu können – eine Spielweise, die noch vor Jahren im Nachbarland verpönt war.
Personell setzt der ehemalige Bayern-Coach in seinem 30 Mann starken vorläufigen Aufgebot auf alte Hasen und junge Hüpfer. Und Kriterium Nummer eins für die Wahl der international unerfahrenen Youngsters war für van Gaal offenbar Geschwindigkeit. Spieler wie Jeremain Lens, Memphis Depay, Jean-Paul Boetius oder Quincy Promes würden in einem olympischen 100-Meter-Rennen jedenfalls nicht besonders weit abgefallen ins Ziel kommen. Weil sie außerdem große Stärken im eins gegen eins haben, ist zu erahnen, dass van Gaal primär auf schnelles Umschaltspiel setzen möchte. Zumal auch Arjen Robben und Robin van Persie nach wie vor zu den Schnelleren zählen.
Und die ‚Oranje‘ könnten mit ihrer anvisierten taktischen Ausrichtung in Gruppe B Glück haben. Denn sowohl Spanien als auch die pressing-verrückten Chilenen, die teilweise mit vier Angreifern in vorderster Reihe attackieren, sind sehr offensiv ausgerichtet. Einzig Außenseiter Australien wird aller Voraussicht nach sehr kompakt in der eigenen Hälfte abwarten. In dieser Partie wird es demzufolge vor allem auf die individuelle Klasse der Niederländer ankommen.
Schon in der Gruppe nur Außenseiter
Die Chancen der van Gaal-Elf auf ein sehr gutes Abschneiden sind trotz hoher Erwartungshaltung in der Heimat eher gering. Zu unausgewogen ist der Kader, in dem vor allem in der Defensive Spieler aus der heimischen Eredivisie dominieren. Auf den Schultern der Stars wie Robben, van Persie oder Wesley Sneijder wird große Verantwortung lasten. Gelingt es den dreien, ihre talentierten Nebenleute mitzureißen, ist das Achtelfinale realistisch. Allerdings würde dann wohl mit Brasilien als voraussichtlichem Sieger der Gruppe A ein echtes Hammerlos drohen.
Die Stars
Arjen Robben (30/FC Bayern München): Die Qualitäten des Rechtsaußen sind unter Bundesliga-Fans hinlänglich bekannt. Und auch wenn seine Gegenspieler inzwischen wissen, dass der Linksfuß gerne mit einem schnellen Haken nach innen zieht und den Abschluss sucht, ist der 30-Jährige für einen Einzelnen kaum zu verteidigen. Stürmt Robben für den FC Bayern, wird er längst gedoppelt, bei Bedarf sogar getriplet. Gut möglich, dass er bei der WM in Brasilien größere Freiheiten genießen wird. Doch Robben wird nicht nur auf dem Platz, sondern auch daneben gefragt sein. Van Gaal dürfte nicht entgangen sein, dass der ehemalige Egomane mittlerweile zum echten Mannschaftsspieler taugt. In der Kommunikation mit vielen blutjungen Teamkollegen ist Robben als Leader gefordert.
Robin van Persie (30/Manchester United): Sein zweites Jahr bei den Red Devils war mehr als durchwachsen. Drei längere Verletzungen, dazu ein Team, das in Jahr eins nach Alex Ferguson kein richtiges war. Pluspunkt für van Persie: Nach lediglich 28 Pflichtspielen in der abgelaufenen Saison ist der Torjäger sicherlich nicht überspielt. Wie zumeist in den vergangenen Jahren wird der Linksfuß auch bei der WM wohl den Vorzug vor Klaas-Jan Huntelaar erhalten. Für van Persie spricht neben einem ausgeprägten Torriecher die Fähigkeit, am Kombinations- und Konterspiel effektiv teilzunehmen. Abseits des Platzes kommen auf den gebürtigen Rotterdamer ähnliche Aufgaben wie auf Kollege Robben zu.
Wesley Sneijder (29/Galatasaray Istanbul): Keine Frage – Sneijder hat bei Galatasaray eine solide Saison absolviert. So richtig überragend war der begnadete Distanzschütze allerdings selten. Gespannt darf man bei der WM beobachten, wie Sneijder mit den immensen körperlichen Herausforderungen zurechtkommt. In der Süper Lig hatte man zumindest häufiger den Eindruck, dass der 29-Jährige physisch nicht auf seinem Zenit ist. Dafür sprechen auch 13 Auswechslungen in 27 Partien. Spielerisch ist der ehemalige Inter-Star nach wie vor unverzichtbar bei Oranje, denn außer Sneijder ist im Team von van Gaal niemand imstande, den tödlichen Pass in die Schnittstelle zu spielen. Von den drei Stars ist er der größte Wackelkandidat.
Die mögliche Aufstellung
Das vorläufige Aufgebot
Tor: Jasper Cillessen (Ajax Amsterdam), Tim Krul (Newcastle United), Michel Vorm (Swansea City), Jeroen Zoet (PSV Eindhoven)
Abwehr: Patrick van Aanholt (Vitesse Arnheim), Daley Blind (Ajax Amsterdam), Daryl Janmaat (Feyenoord Rotterdam), Terrence Kongolo (Feyenoord Rotterdam), Bruno Martins Indi (Feyenoord Rotterdam), Karim Rekik (PSV Eindhoven), Joel Veltman (Ajax Amsterdam), Paul Verhaegh (FC Augsburg), Ron Vlaar (Aston Villa), Stefan De Vrij (Feyenoord Rotterdam)
Mittelfeld: Jordy Clasie (Feyenoord Rotterdam), Leroy Fer (Norwich City), Jonathan De Guzman (Swansea City), Nigel de Jong (AC Mailand), Wesley Sneijder (Galatasaray Istanbul), Tonny Vilhena (Feyenoord Rotterdam), Rafael van der Vaart (Hamburger SV), Georginio Wijnaldum (PSV Eindhoven)
Angriff: Jean-Paul Boetius (Feyenoord Rotterdam), Memphis Depay (PSV Eindhoven), Klaas-Jan Huntelaar (Schalke 04), Dirk Kuijt (Fenerbahce Istanbul), Jeremain Lens (Dynamo Kiew), Robin van Persie (Manchester United), Arjen Robben (Bayern München), Quincy Promes (Twente Enschede)
*Gruppe A:
Gruppe B:
Gruppe C:
Gruppe D:
Gruppe E:
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