Kamerun ist wieder einmal eine Wundertüte. Die Westafrikaner reisen mit einem starken Kader nach Brasilien, scheiterten in der Vergangenheit aber oft genug an sich selbst. In Gruppe A streitet man sich um Platz zwei hinter Brasilien. Schlüsselspieler ist der unumstrittene Anführer Samuel Eto’o.
Denkt man in Afrika an die Fußball-Weltmeisterschaft, schießen auf dem fußballverrückten Kontinent nach wie vor unweigerlich die Bilder von 1990 in die Köpfe. Zunächst besiegte Kamerun im Giuseppe-Meazza-Stadion den amtierenden Weltmeister Argentinien in der Vorrrunde mit 1:0 und zog als Gruppensieger ins Achtelfinale ein, wo man Kolumbien 2:1 schlug. Anschließend lag die aufopfernd kämpfende Elf der ‚Unzähmbaren Löwen‘ gegen England, das Mutterland des Fußballs, bis zur 82. Minute mit 2:1 in Front. Die absolute Sensation war zum Greifen nah, ehe Gary Lineker die ‚Three Lions‘ mit zwei Elfmetern (83./105.) ins Halbfinale schoss.
Dennoch war dieser 1. Juli 1990 im Stadio San Paolo zu Neapel so etwas wie die Geburtsstunde des afrikanischen Fußballs in der Welt. Unvergesslich, wie Roger Milla damals mit seinen Tänzchen an der Eckfahne die Fußballwelt verzückte. Die Nationalmannschaft Kameruns gab einem ganzen Kontinent in diesem Sommer Hoffnung.
Seitdem hat sich einiges getan im afrikanischen Fußball. Stars wie Didier Drogba von der Elfenbeinküste oder Kameruns Samuel Eto’o wurden in Europa zu Weltstars und verstehen sich als Botschafter für Afrika in der Welt. Auch heute noch, 24 Jahre nach jenem historischem Sommer, vertritt man in afrikanischen Nationalteams nicht nur sein Heimatland, sondern einen ganzen Kontinent. Entsprechend hoch ist die Last auf den Schultern der Akteure, denn die Erwartungen sind seitdem nicht weniger geworden und bei all der Euphorie neigt man gerne dazu, sich zu überschätzen.
Eto’s Vertrauen als Schlüssel
Seit 2013 ist Volker Finke Trainer im Kamerun. Seine Aufgabe ist klar. Der ehemalige Coach des SC Freiburg soll den ‚Unzähmbaren Löwen‘ Disziplin einimpfen. Dass die Kameruner über ausreichend fußballerisches Potenzial verfügen, haben sie hinlänglich bewiesen. Im Kader der Westafrikaner stehen mit Ausnahme von Ersatz-Torwart Feudjou Loïc (Cotonsport de Garoua) ausschließlich Spieler aus Europas Top-Ligen. Dabei kommt es sicherlich auch darauf an, eine guten Draht zu Kapitän Samuel Eto’o zu finden. Er ist der Superstar und die Identifikationsfigur in Kameruns Nationalmannschaft. Gelingt es Finke, das Vertrauen des eitlen ‚Löwen‘ zu gewinnen, hat er eine Chance, mit Kamerun für Furore zu sorgen.
In der Qualifikation setzte man sich als Gruppensieger gegen Libyen, den Kongo und Togo durch, wobei man in sechs Partien ein Unentschieden und eine Niederlage verbuchen musste. In der dritten Runde, vergleichbar mit einem finalen Playoff-Spiel um die WM-Qualifikation, traf Kamerun auf Tunesien. Einem 0:0-Unentschieden in Tunis folgte ein souveräner 4:1-Sieg daheim in Yaoundé. Pierre Webó (Fenerbache Istanbul), Benjamin Moukandjo (AS Nancy-Lorraine) und zweimal Jean Makoun. (Stade Rennes) trafen für die Westafrikaner.
Nahezu exakt ein Jahr ist Finke nun im Amt. Das bisher wichtigste Spiel des 66-Jährigen bestand sein Team beim 4:1-Sieg mit Bravour. Fraglich aber, ob der Erfolg an jenem Tag tatsächlich an der richtigen taktischen Einstellung oder einer mitreißenden Ansprache des Trainers lag. Womöglich hatten die ‚Indomitable Lions‘ an diesem Tag ganz einfach Bock auf Fußball und wussten, was auf dem Spiel steht.
Finkes primäre Aufgabe wird es bis zum Auftaktspiel gegen Mexiko am 13. Juni sein, aus der Ansammlung begnadeter Fußballer eine Einheit zu bilden. In Gruppe A streiten sich Kamerun, Mexiko und Kroatien voraussichtlich um Platz zwei hinter Gastgeber Brasilien. Entsprechend steht gegen Mexiko, dem vermeintlich schwächsten Gruppengegner, gleich zu Beginn ein Schlüsselspiel auf dem Programm. Bekommt Volker Finke die vielen großen Egos in der Truppe in den Griff, könnte Kamerun wie so oft gut für eine Überraschung sein. Es wird vor allem auf die Harmonie im Team ankommen. Schlagen die Finke-Elf Mexiko zum Auftakt, könnte sie getragen von der Euphorie zumindest bis ins Achtelfinale vorstoßen. Dort würde dann wohl Weltmeister Spanien warten.
Die Stars:
Samuel Eto’o (33/FC Chelsea): Der Weltstar ist nicht nur vierfacher Fußballer des Jahres in Afrikas, sondern Botschafter für einen ganzen Kontinent. Immer wieder gab es in der Vergangenheit Querelen zwischen dem 33-Jährigen und dem kamerunischen Fußballverband. Umso wichtiger für sein Nationalteam, dass er rechtzeitig zurückgekehrt ist. Das Abschneiden Kameruns wird vor allem von Eto’o abhängen. Bei der Mannschaft von Trainer Finke ist er der unumstrittene Leader. Kann Finke ihn nicht auf seine Seite ziehen, hat er auch keine Chance, das Team wirklich zu erreichen und an die Disziplin appellieren. Sicherlich verfügt der Angreifer nicht mehr über die enorme Schnelligkeit vergangener Tage, dafür kann er mit seiner Kaltschnäuzigkeit noch immer Spiele alleine entscheiden.
Eric-Maxim Choupo-Moting (25/FSV Mainz 05): Nach einer starken Saison beim FSV Mainz 05 machen dem Deutsch-Kameruner gleich mehrere Klubs den Hof. Die AS Rom und Inter Mailand sollen am 25-jährigen Offensiv-Allrounder interessiert sein. Sein Vertrag läuft diesen Sommer aus. Entsprechend kann er sich auf der großen Bühne womöglich für noch höhere Aufgaben empfehlen. Volker Finke wird auf den gebürtigen Hamburger setzen. Schließlich ist Choupo-Moting taktisch hervorragend von Thoms Tuchel geschult und vor allem diszipliniert. In der Bundesliga präsentierte er sich zudem insbesondere in der Schlussphase in ausgezeichneter Verfassung.
Alexandre Song (26/FC Barcelona): Auch wenn der beinharte Defensiv-Stratege bei den Katalanen nur ganz selten zum Einsatz kommt, spielt er in der Nationalmannschaft Kameruns noch immer eine tragende Rolle. Der ehemalige ‚Kanonier‘ ist Chef-Organisator im Mittelfeld und Dirigent im Spielaufbau. Seine Stärken liegen insbesondere im Umschaltspiel, auf das Finke in Brasilien wohl große Stücke legen wert.
Die mögliche Aufstellung
Das vorläufige WM-Aufgebot:
Tor: Charles Itandje (Torku Konyaspor), Ndy Assembe (EA Guingamp), Sammy Ndjock (Fethiyespor), Loic Feudjou (Coton Sport)
Abwehr: Allan Nyom (CF Granada), Dany Nounkeu (Besiktas Istanbul), Cedric Djeugoue (Coton Sport), Aurelien Chedjou (Galatasaray Istanbul), Nicolas Nkoulou (Olympique Marseille), Armel Kana-Biyik (Stades Rennes), Henri Bedimo (Olympique Lyon), Benoit Assou-Ekotto (Quens Park Rangers), Gaetang Bong (Olympiakos Piräus)
Mittelfeld: Eyong Enoh (Antalyaspor), Jean II Makoun (Stades Rennes), Joel Matip (Schalke 04), Stephane Mbia (FC Sevilla), Landry Nguemo (Girondins Bordeaux), Alexandre Song (FC Barcelona), Cedric Loe (CA Osasuna), Edgar Sally (RC Lens)
Angriff: Samuel Eto’o (FC Chelsea), Maxim Choupo-Moting (Mainz 05), Benjamin Moukandjo (AS Nancy), Vincent Aboubakar (FC Lorient, Achille Webo (Fenerbahce Istanbul), Mohamadou Idrissou (1. FC Kaiserslautern), Fabrice Olinga (Zulte Waregem)
*Gruppe A:
Gruppe B:
Gruppe C:
Gruppe D:
Gruppe E:
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