Schon rein historisch ist Italien immer zu beachten, wenn es um die Favoriten bei einer Weltmeisterschaft geht. Doch anders als in den vergangenen Turnieren definiert sich das Team von Cesare Prandelli längst nicht mehr über eine rein defensive Ausrichtung. Einige Stars müssen ihre Form allerdings noch deutlich steigern.
Spanien steht traditionell für Tiki Taka, England für Kick 'n’ Rush und Italien für den Catenaccio. Dass sich die Spielstile dieser Nationen längst nicht mehr so leicht in solche Stereotypen pressen lassen, ist das Resultat der fußballerischen Durchmischung in Europas Top-Ligen. Mit Cesare Prandelli steht bei der ‚Squadra Azzurra‘ ein Fußballlehrer an der Seitenlinie, der als Spieler und Trainer zwar ausschließlich in Italien A aktiv war, aber die internationalen Entwicklungen in Sachen Taktik exakt verfolgt hat. Die Gegner bei der Weltmeisterschaft in Brasilien dürfen also kaum damit rechnen, dass sich das Team um Andrea Pirlo ausschließlich reaktiven Defensivfußball zeigen wird.
Vielmehr sind die Italiener eine der taktisch flexibelsten Mannschaften. Denn neben den Südeuropäern sind es einzig die Chilenen, die ein 3-5-2 in ähnlicher Perfektion durchführen können. Zu erwarten ist über weite Strecken allerdings eine Viererkette, in der mit Giorgio Chiellini und Leonardo Bonucci zwei spiel- und zweikampfstarke Verteidiger von Juventus Turin das Kommando führen. Wichtigster Taktgeber ist allerdings nach wie vor Pirlo, der von der Sechs aus sämtliche Angriffe initiiert. Und trotz seines fortgeschrittenen Alters von 35 Jahren ist der filigrane Rechtsfuß weiterhin in der Lage, sich der Manndeckung zu entziehen – so wie es ihm vor rund zwei Jahren im EM-Halbfinale gegen Deutschland gelang, als ihm Bundestrainer Joachim Löw den Bayern Toni Kroos auf die Füße stellen wollte.
Nicht nur wegen der Historie schon Mitfavorit
Lässt man die WM in Südafrika 2010 einmal außen vor, war mit Italien in der Vergangenheit eigentlich bei fast jeder Großveranstaltung zu rechnen. Viermal haben die ‚Azzurri‘ den Titel geholt: 1934, 1938, 1982 und zuletzt 2006 in Deutschland, als kurz zuvor der Korruptionsskandal die heimische Liga erschütterte. Über die mentale Stärke der stolzen Männer aus dem Stiefelstaat ist damit eigentlich schon ausreichend gesagt. Auf Fracksausen darf man sich als Gegner jedenfalls nicht einstellen.
Gruppe schwierig, aber machbar
Man braucht die Weltmeistertitel der Nationen in Gruppe D nur zusammenzuzählen. Schon weiß man, dass die Begegnungen alleine historisch viel versprechen. Uruguay (2), England (1) und Italien (4) haben insgesamt siebenmal den Wanderpokal für vier Jahre mit in ihr Land genommen. Einzig Außenseiter Costa Rica kann da nicht mithalten und ist auch 2014 gegenüber den drei Schwergewichten des Weltfußballs absoluter Außenseiter. Gespielt wird unter anderem in Manaus, wo wegen des tropischen Klimas im Amazonasgebiet von den europäischen Teams niemand hingelost werden wollte. Getroffen hat es nun Italien und England, die den Klassiker am ersten Spieltag unter erschwerten Bedingungen austragen müssen.
Ausgewogener Kader bedeutet Favoritenrolle
Gianluigi Buffon, Antonio Cassano, Andrea Barzagli, Daniele De Rossi, Thiago Motta oder auch Riccardo Montolivo – Prandelli setzt nach wie vor auf geballte Erfahrung. Darüber hinaus vertraut der 56-Jährige aber zunehmend der jüngeren Generation, die sich in erster Linie durch bessere Fitnesswerte gegenüber den Älteren auszeichnet. Den in der heimischen Serie A wiedererstarkten Luca Toni beispielsweise ließ Prandelli zugunsten des von Borussia Dortmund umworbenen Ciro Immobile zu Hause.
Fazit: Pirlo und Co. zählen taktisch, fußballerisch und bei entsprechender Vorbereitung auch läuferisch zu den besten Teams. Und selbst wenn es der Italien-geplagte deutsche Fußballfan nicht gerne lesen wird: Auch dieses Jahr zählt das DFB-Schreckgespenst wieder zum engeren Favoritenkreis.
Die Stars
Andrea Pirlo (35/Juventus Turin): Trotz seines fortgeschrittenen Alters gehört der filigrane Rechtsfuß weiterhin zur Crème de la Crème des Weltfußballs. Pässe in die Schnittstelle der Abwehr, Seitenwechsel in den Fuß und brandgefährliche Standards – Pirlo beherrscht auch mit Mitte 30 noch sämtliche Facetten. Abzuwarten bleibt, wie sein bejahrter Körper die klimatischen Strapazen am Zuckerhut verkraften wird. Gut möglich, dass Prandelli seinen Dirigenten von zwei kampf- und laufstarken Sechsern flankieren lässt, damit sich Pirlo mit voller Kraft seiner Spielmacheraufgabe widmen kann.
Mario Balotelli (23/AC Mailand): So recht weiß Italiens Fangemeinde immer noch nicht, was sie mit dem eigenwilligen Star anfangen soll. Sein außergewöhnliches Talent ließ der 23-Jährige in der abgelaufenen Saison zwar ab und zu, aber insgesamt doch zu selten aufblitzen. Bei der ‚Squadra Azzurra‘ allerdings konnte Coach Prandelli sich zumeist auf sein ‚Enfant Terrible‘ verlassen – davon kann auch die DFB-Elf ein Liedchen singen. Findet Balotelli rechtzeitig zur WM zu seiner absoluten Top-Form, könnte er einer der absoluten Stars des Turniers werden.
Gianluigi Buffon (36/Juventus Turin): Der weiterhin teuerste Torhüter der Welt steckt ein wenig in der Krise. Vor allem auf internationaler Ebene patzte Buffon zuletzt verhältnismäßig oft. Mit seinem Gleichmut und seiner immensen Erfahrung sollte er aber rechtzeitig zum Turnierstart in Form sein. 139 Länderspiele hat der 1,91 Meter-Hüne in seiner bisherigen Laufbahn absolviert. Bis zum Finale käme er auf 146. Viele rechnen damit, dass er seine Karriere in der Nationalelf im Fall des Titelgewinns beenden würde – selbst wenn er die angestrebten 150 Spiele für sein Land dann nicht mehr erreichen kann.
Die mögliche Aufstellung
Das vorläufige Aufgebot
Tor: Gianluigi Buffon (Juventus Turin), Salvatore Sirigu (Paris St. Germain), Mattia Perin (FC Genua)
Abwehr: Giorgio Chiellini (Juventus Turin), Andrea Barzagli (Juventus Turin), Leonardo Bonucci (Juventus Turin), Gabriel Paletta (AC Parma), Andrea Ranocchia (Inter Mailand), Christian Maggio (SSC Neapel), Mattia De Sciglio (AC Mailand), Ignazio Abate (AC Mailand), Matteo Darmian (FC Turin), Manuel Pasqual (AC Florenz)
Mittelfeld: Andrea Pirlo (Juventus Turin), Daniele De Rossi (AS Rom), Riccardo Montolivo (AC Mailand), Claudio Marchisio (Juventus Turin), Thiago Motta (Paris St. Germain), Marco Verratti (Paris St. Germain), Antonio Candreva (Lazio Rom), Romulo (Hellas Verona), Alberto Aquilani (AC Florenz), Marco Parolo (FC Parma)
Angriff: Mario Balotelli (AC Mailand), Antonio Cassano (FC Parma), Giuseppe Rossi (AC Florenz), Alessio Cerci (Torino), Ciro Immobile (FC Turin), Mattia Destro (AS Rom), Lorenzo Insigne (SSC Neapel)
*Gruppe A:
Gruppe B:
Gruppe C:
Gruppe D:
Gruppe E:
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